Der allgegenwärtige Hauch der Philosophie

Chen Congzhou – „Über chinesische Gärten“

von Frank Becker

Der allgegenwärtige Hauch der Philosophie
 
Die 2000 Jahre alte chinesische Gartenbaukunst
 
 
Schon länger als ein Jahr war ich nicht
In Suzhou, aber seine Gärten begleiten
Mich immer noch in meinen Träumen.
Chen Congzhou
 
Wenn das Gespräch auf chinesische Gärten und ihre Gestaltung kommt, muß man sich von den Vorstellungen über Gärten des Okzidents grundlegend verabschieden. Nichts hat die Jahrtausende alte chinesische Kultur der Anlage eines Haus- oder Landschaftsgartens mit den Idealen oder Vorstellungen gemein, die hinter europäischen Gärten und Parks des Barock, der Romantik oder der Reformbewegungen standen.
Die gut 2000 Jahre alte Kunst der Anlage von Gärten gehört zur chinesischen Kultur wie die Poesie, die Kalligraphie und die Malerei. Mehr noch – in der kunstvoll angelegten Kontur des chinesischen Gartens vereinen sich Landschaftsgestaltung, Poesie und Architektur mit fernöstlicher Philosophie. Wasser- und Steinflächen, Felsen, Gebäude, Wandelgänge, Brücken und ausgesuchte Bäume und Strauchwerk bilden die Grundelemente, aus denen der klassische chinesische Garten sich - ob Kaiserliche oder private Gärten, Landschaftsparks oder Tempelanlagen - zusammenfügt.
 
Der chinesische Gartenbau-Kenner Chen Congzhou (1918–2000) gilt als der Experte in chinesischer Architektur und Gartengeschichte. Von 1978 bis 1982 hat er für das Journal of Tongji University eine Serie von fünf grundlegenden Essays über die traditionelle chinesische Kunst des Gartenbaus geschrieben, die als Buch zusammengefaßt heute schon als Klassiker gelten. Er setzte sich für die Erhaltung der natürlichen Umwelt und die Restaurierung vieler historischer Bauten ein. Seine zahlreichen Veröffentlichungen über traditionelle chinesische Gebäude und Gärten wurden in der Vergangenheit auch ins Englische übersetzt. Nun erscheint diese Essay-Sammlung im Birkhäuser Verlag erstmals in deutscher Sprache, aus dem Chinesischen übersetzt von: Chunchun Qian.
 
Chen unterteilt chinesische Gärten in zwei Arten, in jene zur statischen Betrachtung und jene zur dynamischen Betrachtung. In Ersteren gibt es viele Plätze, auf denen man sich aufhalten und den Garten auf sich wirken lassen kann. Letztere sind in der Regel mit längeren Spazierwegen ausgestattet, die, so Zdeněk Hrdlička in „Chinesische Gartenkunst“ (1998), Anregung zur Poetik geben sollen. Geschaffen werden künstliche Paradiese von hohem ästhetischem wie poetischem Rang. Chinesische Dichter aller Epochen wie Su Shi, Thang Dai, Wang Shizhen, Du Fu, Li tai-pe, Li Bo und viele andere mehr haben die Schönheit von Gärten besungen. Gemeinsam ist allen idealen chinesischen Gärten, daß sie nach dem Prinzip angelegt sind, daß weniger manchmal mehr ist, und so ein Gefühl der Unendlichkeit hervorgerufen wird.
 

Zhuozheng Garden - Photo by Lv Hengzhong

Chen Congzhou gibt mit seinen Aufsätzen tiefen Einblick in die uralte, bis heute fortwirkende chinesische Kultur, die auf höchster Ebene alles miteinander in Verbindung zu bringen versteht, was die Grundlagen des künstlerischen Denkens dieser großen Nation angeht und sich gegenseitig befruchtet. Zwar machen die zahlreichen Anmerkungen die Lektüre durch das Blättern zum jeweiligen Kapitelschluß sehr mühsam und wirken die pothum beigegebenen Illustrationen eher farblos, doch bleibt das Buch unbedingt lesenswert. Ein Genuß nicht nur für Sinologen, Sinophile, Philosophen und Gartenfreunde. Von den Musenblättern sehr empfohlen.
 
Der Besuch eines verlassenen Gartens ist ein
ebensolcher Genuß  wie das Lesen eines antiken
Buches, das unerwartet gefunden wurde.
Gong Zizheng
 
Chen Congzhou – „Über chinesische Gärten“
Landschaft und die Poesie der Komposition
Aus dem Chinesischen übersetzt von: Chunchun Qian
Vorwort von: Xiangning Li
© 2023 Birkhäuser Verlag, 152 Seiten, Broschur, Fadenheftung, ca. 30 Abbildungen, Glossar  - ISBN: 978-3-0356-2696-4
42,- €
 
Weitere Informationen: https://birkhauser.com